Die «demografische Herausforderung»

    Kantons- und Stadtentwickler Lukas Ott zur Wanderungsanalyse 2020

    Die zuletzt durch die Kantons- und Stadtentwicklung Basel veröffentlichte Wanderungsanalyse 2020 zeigt rein vom Volumen her betrachtet einen Rückgang der Zu- und Wegzüge von gut zehn Prozent gegenüber den Vorjahren. Die Interpretation der Fakten wurde durch die Bevölkerung unterschiedlich wahr genommen. Die einen sehen die Entwicklung positiv. Andere aber befürchten ein bestimmtes Szenario: Die sehr starke Zuwanderung von Ausländern gepaart mit einer immer noch existierenden Stadtflucht der «Einheimischen». Und genau dieser Aspekt sorgt für heisse Köpfe und Debatten.

    (Bild: Kanton Basel-Stadt) Die grosse Frage lautet: Werden die demografischen Verschiebungen in Basel-­Stadt und die Zuwanderung der Schweizer/innen in die Agglomerationen der Region einen Mehrwert erzeugen oder für Verunsicherung sorgen?

    Für die meiste Aufmerksamkeit bei der Wanderungsanalyse 2020 sorgte eine Zusatzanalyse nach Nationalitäten. Diese belegt, dass einerseits der Wegzug von Schweizerinnen und Schweizer aus dem Kanton Basel-Stadt seit 2006 rückläufig ist und andererseits der Wegzug in erster Linie in die (schweizerischen) Agglomerationsgemeinden von Basel erfolgt. Der Kanton Basel-Stadt bleibt also nicht nur für Ausländerinnen und Ausländer, sondern auch für Schweizerinnen und Schweizer aus der Schweiz attraktiv. Viel zu reden gab aber auch eine Meldung zur Bevölkerungsstatistik und -entwicklung, bei welcher es hiess, dass sukzessive in den kommenden Jahren in Basel-Stadt bald mehr Ausländer oder Zugewanderte im Kanton leben würden als Schweizer. Wir haben den Leiter Kantons- und Stadtentwicklung Lukas Ott hierzu befragt.

    Lukas Ott, offenbar entsteht eine quantitativ messbare Verschiebung bezüglich der prozentualen Verteilung der Nationalitäten in der Stadt Basel. Ist dies ein Problem? Kann oder muss man vielleicht Gegensteuer geben, ohne dass der als weltoffen und modern geltende Stadtkanton in die Kritik gerät? Welche Massnahmen wären da denkbar beziehungsweise mit Ihrer Grundeinstellung und Ihrem Wertesystem vertretbar?

    (Bild: zVg) Lukas Ott: «Die aktuelle Entwicklung unterstreicht die Bedeutung der in Basel gelebten Willkommenskultur und die Wichtigkeit der Integrationsförderung im Kanton Basel-Stadt.»

    Lukas Ott: Tatsächlich verzeichnete Basel-Stadt auch 2020 einen Wanderungsgewinn. Dieser ist erneut auf die Zuwanderung aus dem Ausland zurückzuführen. Die kürzlich veröffentlichten Zahlen belegen, dass Basel auch in Zeiten von Corona attraktiv für die Zuwanderung bleibt. Dies ist die direkte Folge der Sogwirkung des Arbeitsmarktes, der zahlreiche Fachkräfte und ihre Familien aus dem Ausland anzieht. So entstanden in den Jahren vor Corona beispielsweise Arbeitsplätze in der pharmazeutischen Industrie, aber auch im Gesundheitswesen, im Bildungsbereich, in den Ingenieur- und Architekturberufe sowie bei den Beratungsdienstleistungen. Der seit Jahrzehnten anhaltende Trend eines steigenden Anteils von Personen ohne Schweizer Pass beziehungsweise der Internationalisierung des Standortes bleibt deshalb ungebrochen. Diese Entwicklung unterstreicht die Bedeutung der in Basel gelebten Willkommenskultur und die Wichtigkeit der Integrationsförderung im Kanton Basel-Stadt.

    Wie sieht der Zuzug seitens der Schweizerinnen und Schweizer nach Basel aus?
    Unsere Auswertungen nach Nationalitäten und Schweizer Regionen belegen, dass einerseits der Wegzug von Schweizerinnen und Schweizer aus dem Kanton Basel-Stadt seit 2006 rückläufig ist und andererseits der Wegzug in erster Linie in die schweizerischen Agglomerationsgemeinden von Basel erfolgt. Der Wanderungssaldo mit diesen Agglomerationsgemeinden bleibt negativ, hingegen ziehen aus der übrigen Schweiz mehr Schweizerinnen und Schweizer in den Kanton Basel-Stadt zu als sie den Kanton in Richtung übrige Schweiz verlassen. Diese Zahlen zeigen, dass der Kanton Basel-Stadt nicht nur für Ausländerinnen und Ausländer aus dem Ausland, sondern auch für Schweizerinnen und Schweizer aus der Schweiz attraktiv ist. Ein gegebenenfalls späterer Umzug aus der Kernstadt in die Agglomeration unterstreicht die Attraktivität der ganzen Region Basel.

    Welche Rolle spielen in Basel Überlegungen zum Ausländerstimmrecht?
    Integration und politische Mitbestimmung sind einander wechselseitig beeinflussende Prozesse. Menschen, die hier leben und arbeiten, hier Steuern zahlen, ihre Kinder in die Schule schicken und von allen Folgen politischer Entscheidungen direkt betroffen sind, sollten auch die Möglichkeit haben, diese Entscheidungen beeinflussen zu können. Dies ist auch die Haltung des Regierungsrates. Dieser wurde mit einer Motion vom Grossen Rat beauftragt wurde, einen Gesetzesentwurf vorzulegen, damit Einwohnerinnen und Einwohner des Kantons Basel-Stadt, die das Schweizer Bürgerrecht nicht besitzen, das kantonale Stimm- und Wahlrecht erhalten, wenn sie mindestens fünf Jahre Wohnsitz im Kanton Basel-Stadt haben und im Besitz der Niederlassungsbewilligung sind.

    Ein Bevölkerungsszenario wurde kürzlich veröffentlicht, bei welchem folgendes auffällt: Die Schweizerinnen und Schweizer werden im Schnitt immer älter. Umgekehrt sieht die Lage bei den Zugewanderten aus. Wird dieser Tendenz Rechnung getragen?
    Die Tendenz ist eindeutig und mag für viele überraschend sein: Im schweizweiten Vergleich wird der Kanton Basel-Stadt unterdurchschnittlich stark von der demografischen Alterung betroffen sein. Mit anderen Worten: Basel-Stadt wird zu einem der jüngsten Kantone und wird im Jahr 2040 den dritttiefsten Altersquotienten aller Schweizer Kantone aufweisen – geringfügig tiefere Altersquotienten weisen dann nur die Kantone Waadt und Zürich auf.

    Was sind die Gründe für diese Verjüngung Basels?
    Ein wichtiger Grund dafür ist, dass es in Basel-Stadt eine für Städte typische Ballung der Bevölkerung im Alter von zwischen etwa 27 und ungefähr 40 Jahren gibt und gemäss den Szenarien auch in Zukunft geben wird. Diese Ballung senkt den Altersquotienten. Während auf der einen Seite Familien verstärkt in der Stadt bleiben, nimmt auf der anderen Seite die Abwanderung von älteren Personen zu. Diese negative Wanderungsbilanz im erhöhten Alter senkt den Altersquotienten im Vergleich mit anderen Kantonen ebenfalls.

    Was ist die in ihren Augen als Kantons- und Stadtentwickler die entscheidende Voraussetzung für eine prosperierende Stadt mit einem kontinuierlichen Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum?
    Da stehen die Arealentwicklungen ganz weit oben. Aus meiner Sicht besteht aufgrund des anhaltend hohen Bedarfs an Wohnungen eine zentrale Aufgabe darin, das Wohnungsangebot im Kanton vielfältig weiterzuentwickeln. Die Transformationsareale bieten die Chance, zusätzlichen Wohnraum entstehen zu lassen, damit das Wachstum der Agglomeration Basel auch innerhalb unserer Kantonsgrenzen möglich bleibt. Damit Wohnraum für unterschiedliche Bedürfnisse und Einkommen entsteht, ist im kantonalen Richtplan der Planungsgrundsatz verankert, dass mindestens ein Drittel des neu geschaffenen Wohnraums preisgünstig sein soll.

    JoW/DaC


    Leiter Kantons- und Stadtentwicklung

    Lukas Ott, lic. phil., hat Soziologie, Kunstgeschichte und Botanik an der Universität Basel studiert. Als Publizist ist er mit zahlreichen Veröffentlichungen im Bereich Staats- und Verwaltungsrecht sowie Sozial- und Kulturgeschichte hervorgetreten und war Inhaber eines Büros für Politikforschung und Kommunikation. Von 2000 bis 2017 war er Stadtrat und dann halbamtlicher Stadtpräsident von Liestal. Seit Dezember 2017 ist er Leiter der Kantons- und Stadtentwicklung Basel-Stadt.

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