Mit spitzer Feder …
«Nichts in dieser Welt ist sicher ausser dem Tod und den Steuern«, schrieb der amerikanische Staatsmann Benjamin Franklin. Das war im Jahr 1789. Seither scheinen die Unwägbarkeiten weltweit eher zu- als abgenommen zu haben. Wir alle leben ganz plötzlich in äusserst ungewissen Zeiten. Denn die wohl lästigste Nebenwirkung der Pandemie ist die Ungewissheit: Plötzlich tun sich tausend Fragen auf, die ohne Antwort bleiben. Es sind Alltagsfragen. Soll ich noch ins Fitness-Studio gehen, wo Menschen schwitzen, mich im Feierabendverkehr in ein überfülltes Tram setzen, den Wochenendeinkauf am Samstagvormittag erledigen, wenn die Schlange vor der Kasse bis zur Fleischabteilung reicht? Keiner weiss es. Jeder entscheidet für sich selbst. Pi mal Daumen – ein Leben ohne Kompass und Sternenhimmel.
Zur Ungewissheit gesellt sich zudem eine Kompetenzwirrwarr, was eine Planbarkeit sowohl wirtschaftlich, gesellschaftlich als auch in unserem persönlichen Leben unmöglich macht. Wissenschaftler versuchen, eine Spur der Vernunft durch das Chaos zu ziehen. Ruhige Stimmen sollen den Eindruck vermitteln, man habe die Lage irgendwie im Griff. Aber auch die Experten wissen vieles nicht, hantieren mit Wahrscheinlichkeiten. Seit über einem halben Jahr befinden wir uns auf einem Blindflug. Gewiss ist nur, dass alles ungewiss ist und vorläufig auch bleibt. Denn, wenn wir auch nach dem Lockdown glaubten und hofften, das Schlimmste sei überstanden, so realisieren wir jetzt, dass wir das Coronavirus nicht so schnell eindämmen können wie wir uns das vorgestellt haben. Unser bis jetzt so angenehm regulierbares und kontrollierbares Leben wird durch einen Faktor, den wir nicht gross beeinflussen können, auf den Kopf gestellt. Oder anders ausgedrückt, die Tücken der Natur machen uns Kopfzerbrechen! Die Menschheit tappt im Dunkeln. Was ist übertrieben, was untertrieben? Sollte das Leben nicht stets berechenbar sein, planbar, kontrollierbar? Wir berechnen doch alles – die Arbeitszeit bis zur Rente, die globale Erderwärmung bis zum Jahr 2050, die Kosten des Sommerurlaubs. Das gibt Halt, verleiht Sicherheit. Wenn das Leben verläuft, wie wir uns das vorgestellt hatten, sind Phantasie und Realität versöhnt. Etwas ist in Ordnung. Das Coronavirus liefert das Kontrastprogramm. Versuch und Irrtum. Keine Widerspruchsfreiheit. Wechselnde Winde. Heute so, morgen so.
Labile Gemüter vermissen die gewohnten Orientierungsmarken und tun sich sehr schwer mit der aktuellen Situation. Das Nicht-wissen wird zum Indiz für Haltlosigkeit und Abgrundtiefe und schürt Zweifel und Ängste. Angst ist menschlich. Und sie ist eine wichtige Emotion, denn Angst bewahrt uns im richtigen Augenblick vor falschen Schritten. Wer auf einer Brücke steht, nach unten schaut und dabei einen schnelleren Puls oder ein flaues Gefühl im Magen hat, kann beruhigt sein: Es funktioniert alles richtig. Anders verhält es sich mit der Panik. Panik ist nicht gut, denn sie verleitet zu falschen, auch zu gefährlichen Schritten. Angesichts der Corona-Epidemie ist daher wichtig: Angst dürfen wir haben, Panik bitte nicht. Einige Verunsicherte begegnen der Panik mit einem Höchstmass an Skepsis, die in Verschwörungstheorien und abstruseste Szenarien ausarten kann.
Gegen Angst und Panik helfen vielmehr Gelassenheit und Gottvertrauen. Wir, die Erwachsenen, können hier von den Kindern lernen. Ich sehe das bei meinen kleinen Neffen. Sie haben ein Urvertrauen in ihre Eltern, Grosseltern und nächsten Bezugspersonen und in mich, ihrer Tante, und vertrauen so auch auf Gott. Sie zeigen keine Angst, sondern glauben vertrauensvoll dem Gott, der sie schuf, der sie beschützt und begleitet. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Erwachsene sollen freilich nicht bei ihrem Kinderglauben stehen bleiben. Aber sie sollten mit einer gesunden Portion Lebensglauben ausgerüstet sein. So können sie Körper, Geist und Seele stärken und die nötige Resilienz erlangen. In Coronazeiten heisst das: Gott greift nicht wie ein Automat von oben in unser Gesundheitssystem ein. Aber Gott symbolisiert eine Liebe, die nie vergeht, und darauf dürfen wir vertrauen, auch wenn uns das nicht immer leichtfällt. So sollte es für die meisten von uns möglich sein, sich in aller Gelassenheit mit der Fülle an Ungewissheiten zu arrangieren. Ist das zu viel verlangt? Sicher nicht.
Herzlichst,
Ihre Corinne Remund
Verlagsredaktorin