Wann ist er endlich da? – Das grosse Warten auf den Impfstoff

    Kolumnist: Eric G. Sarasin

    Es scheint, wir gewöhnen uns an ein Leben mit Corona. Während die Fallzahlen wieder leicht steigen, gibt es jene achtsamen Menschen, welche die damit einhergehenden Einschränkungen in Kauf nehmen und solche, die leichtsinnig mit dem Virus umgehen und sich dabei nicht bewusst sind, dass die Ansteckungsgefahr nach wir vor hoch ist. Ich befürchte, dass jetzt, nach den Sommerferien, die angekündigte «zweite Welle» auf uns zurollt. Umso mehr warten nun alle auf einen Impfstoff gegen den Virus.

    Die Weltgesundheitsorganisation WHO zählt derzeit 165 Projekte (Stand 31.07.2020) zur Erforschung eines Impfstoffes gegen COVID19. Dazu kommen mindestens sieben weitere Projekte, die noch nicht auf dieser Liste verzeichnet sind. Das Institut «vfa – die forschenden Pharmaunternehmen» verfügt auf seiner Webseite über eine sehr gute Zusammenstellung aller dieser Projekte (www.vfa.de/de).

    Die Regierungen weltweit versuchen schon jetzt, sich in Position zu bringen, um sich die potentiellen Impfstoffe zu sichern. Nachdem sich die Schweiz letzte Woche den Zugang zum vielversprechenden Impfstoff der Firma Molecular Partners gesichert hat und die USA bereits 100 Millionen Ampullen des Moderna Impfstoffes bestellt haben (wird übrigens in der Schweiz bei Lonza produziert), ist der Wettlauf erst recht lanciert worden.

    Man hat sich in allen sozialen Medien über Trump und seine Ignoranz im Umgang mit der Pandemie lustig gemacht, und das nicht ohne Grund. Was dieser Mann seit März für Unsinn herausgelassen hat, ist eines Präsidenten unwürdig. Eine Aussage von ihm, die seinerzeit für Kopfschütteln sorgte, war, dass bereits Ende Jahr ein Impfstoff zur Verfügung stünde. Die meisten Experten waren sich einig, dass dies frühestens Mitte 2021, wenn überhaupt, der Fall sein werde. Für Ebola fand man einen Impfstoff erst nach fünf Jahren! Aber mit der kürzlich stattgefundenen Entwicklung bei der Forschung hat Trump vielleicht für einmal Recht?

    Die US-Regierung hat schon im April das Programm «Operation Warp Speed» (OWS) lanciert. Warp Speed (Geschwindigkeit) heisst ein hypothetischer Antriebsmechanismus der extrem schnell ist und im Film «StarTrek» eingesetzt wurde. Die US-Regierung hat für dieses Programm US$ 13 Milliarden zur Verfügung gestellt, um vielversprechende Pharmaunternehmen gezielt zu finanzieren. Beispiele sind Johnson & Johnson, (US$ 456 Millionen) oder Moderna, (US$ 483 Millionen). Den grössten Betrag haben die Firmen Gilead und Novavax mit je US$ 1,6 Milliarden vom Staat erhalten.

    Die USA versuchen, für sich die besten Impfstoffe zu sichern. Ein gutes Beispiel zeigt ihre Strategie auf: Am 7. Juli hat die US-Regierung einen Abkommen mit Regeneron über US$ 450 Millionen geschlossen. Dabei haben sie sich praktisch die gesamte Lieferung des vielversprechenden Medikamentes «REG-COV2» der nächsten drei Monate gesichert. Das bedeutet, dass die meisten anderen Länder keine Chance haben werden, diesen Impfstoff überhaupt zu bekommen.

    Dieses Beispiel zeigt einmal mehr, was das wirtschaftlich mächtigste Land in egoistischer Weise erreichen kann. Die meisten anderen Nationen haben dem nicht viel entgegenzusetzen, da deren Gelder mehrheitlich in die Wirtschaft fliessen, um diese aufrecht zu erhalten. Die Russen wollen einen nicht geprüften Impfstoff an Menschen verwenden, um sie danach zu testen. Eine sehr gewagte Strategie, die zu einem Bumerang werden kann.

    Für mich stellt sich die Frage, warum es keine aktive Zusammenarbeit und Koordination unter den wichtigsten Nationen der Welt gibt. Gemeinsam könnte man so viel mehr erreichen. Die Verlierer werden einmal mehr die Armen, vor allem in den unterentwickelten Ländern sein. Die WHO spielte bisher eine entscheidende Rolle in der weltweiten Verteilung von Impfstoffen und Medikamenten. Aber seitdem sich die USA als der grösste Geldgeber aus der WHO zurückgezogen hat, wird auch dies nicht mehr funktionieren.

    Es ist bekannt, dass die weltweite Verteilung eines Impfstoffes zuerst an Hochrisiko-Länder durchgeführt werden sollte, und sich nicht auf ein paar wenige reiche Länder wie die USA beschränken sollte. Es wäre nicht zu spät für eine Koordination, aber dazu bräuchte es in erster Linie einen politischen Willen. Der COVID19-Virus ist global. Dazu brauchte es auch globale Strategien und Lösungen.

    Trumps Slogan «America First» ist ein Versprechen, dass er seinen Wählern vor vier Jahren gegeben hat. Wenn ein Impfstoff für die USA vor den Wahlen auf den Markt kommt, wird er in den Augen vieler Amerikaner ein Held sein, und wir müssten eventuell mit vier weiteren Jahren Trump rechnen. Bleibt zu hoffen, dass der amerikanische Souverän dies nicht zulässt. Es wäre für die ganze Welt ein Alptraum!

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